1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
KriminalitätDeutschland

Spionage in Deutschland aus China und Russland boomt

24. April 2024

In Deutschland werden kurz nacheinander sechs mutmaßliche Spione enttarnt. Die Motive: der Ukraine-Krieg, ökonomische Interessen und Angriffe auf die Demokratie.

https://p.dw.com/p/4f5xn
Eine Kamera am Zaun des Chinesischen Generalkonsulats. Im Hintergrund weht eine chinesische Flagge.
Deutschland ist im Visier chinesischer und russischer SpioneBild: Daniel Kubirski/dopa/picture alliance

In der Pressestelle des Generalbundesanwalts herrscht dieser Tage Hochbetrieb: "Festnahme wegen mutmaßlicher geheimdienstlicher Agententätigkeit" wird eine Mitteilung vom 23. April überschrieben. Exakt die gleiche Überschrift hat eine Pressemeldung vom Tag zuvor. In beiden Fällen sollen die insgesamt vier Beschuldigten - drei Männer und eine Frau - für China spioniert haben.

Und in einer Nachricht vom 18. April geht es um zwei Männer, die im Auftrag Russlands Anschläge auf militärische Ziele in Deutschland geplant haben sollen. In der Titelzeile heißt es: "Festnahmen u. a. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit und Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung 'Volksrepublik Donezk' (VRD)".

Geheimdienst-Kontrolleur sorgt sich um Sicherheit

In Politik und Medien führen die Festnahmen zu besorgten Kommentaren. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Konstantin von Notz ist alarmiert: "Wir müssen endlich verstehen, dass es hier um eine maximal ernste und durchaus reale Bedrohung unserer Sicherheit geht", betont der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Geheimdienste. "Als wehrhafte Demokratie müssen wir sowohl in der Strafverfolgung, aber auch bei der Aufdeckung der Strukturen und Netzwerke durch alle Sicherheitsbehörden schnell und entschlossen agieren."

Haldenwang: "Bedrohungssituation wie im Kalten Krieg"

Dass genau dies gerade geschieht, macht der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV), Thomas Haldenwang, im DW-Interview deutlich: "Wir haben diese Ermittlungen initiiert. Und nachdem die Beweislage dann eindeutig war, konnten wir diesen Fall an die Polizei und die Staatsanwaltschaften abgeben." 

Verfassungsschutz skizziert Chinas globale Ziele

Für den Chef des deutschen Inlandsgeheimdienstes ist die aktuelle Entwicklung keine Überraschung. Was seine Behörde China zutraut, ist im 2023 veröffentlichten Verfassungsschutzbericht nachzulesen: "Die globalen Ambitionen Chinas werden mit einem generellen Streben nach immer mehr Macht zur Ausgestaltung des eigenen Gestaltungs- und Führungsanspruchs verfolgt und lassen eine weitere Intensivierung der Spionageaktivitäten wie auch der Ein­flussnahmeaktivitäten durch staatliche Akteure erwarten."

Über das Gefährdungspotenzial sprach der BfV-Präsident auch auf einem Symposium des Verfassungsschutzes in Berlin, das am Tag der Festnahme von drei mutmaßlichen Spionen stattfand. China habe Zeit, antwortete Haldenwang auf die Frage der DW, welche Strategie das Land bei der Spionage verfolge: "Bis 2049 will man die politische, militärische, wirtschaftliche Macht Nummer eins auf dem Globus sein. Dieses Ziel verfolgt man kontinuierlich - mit legalen Mitteln, aber eben auch mit illegalen Mitteln."

China: Zur Spionage gezwungen

Klassische Spionage-Felder Chinas: Universitäten und Unternehmen

Beispielhaft sei der Einsatz von chinesischen Gastwissenschaftlern und Studierenden an deutschen Universitäten. "Diese Personen sind verpflichtet, Informationen an den Staat weiterzugeben", sagte Haldenwang. Diese Warnung nimmt auch die deutsche Ministerin für Bildung und Forschung, Bettina Stark-Watzinger, ernst: Im Umgang mit China dürfe man nicht naiv sein, meint die Freidemokratin (FDP). Notwendig sei eine "noch kritischere Abwägung von Risiko und Nutzen bei der Zusammenarbeit gerade auch in Wissenschaft und Hochschulen". 

So sieht es der Verfassungsschutz auch beim Blick auf die Wirtschaft. Bei jeden Joint Venture, bei jedem Direktinvestment kämen auch Manager und anderes Personal aus China nach Deutschland, sagte Präsident Haldenwang, der damit ein potenzielles Einfallstor für Spionage benannte: "Geschäftsgeheimnisse können auch nach China gelangen."

Spion im Vorzimmer eines AfD-Politikers?

In dieses Szenario könnte der zuletzt festgenommene mutmaßliche Agent passen. Besonders pikant: Er ist ein enger Mitarbeiter von Maximilian Krah, dem Spitzenkandidaten der Alternative für Deutschland (AfD) bei der Europawahl im Juni 2024.

Der festgenommene Krah-Mitarbeiter ist mittlerweile in Untersuchungshaft. Ein Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof habe den Haftbefehl in der Nacht zum Mittwoch in Vollzug gesetzt, Der Vorwurf laute auf Agententätigkeit für einen ausländischen Geheimdienst in einem besonders schweren Fall.

Spion bei der Bundeswehr enttarnt

Der vom Verfassungsschutz bundesweit als rechtsextremer Verdachtsfall beobachteten AfD werden auch immer wieder enge Kontakte nach Russland nachgesagt. Die aus Moskau gesteuerten Spionage-Aktivitäten konzentrieren sich jedoch im Unterschied zu China nach Geheimdienst-Erkenntnissen oft auf kurzfristige Ziele. Diese Einschätzung gilt aus Haldenwangs Sicht mehr denn je seit dem völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine: "Angesichts eines heißen Krieges mit enormer Gewaltanwendung durch Russland, wäre es fahrlässig, nicht von der Fähigkeit und dem Willen seiner Nachrichtendienste zu komplexen Operationen in Europa auszugehen."

Auf der Suche nach pro-russischen Frauen und Männern

Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz rechnet damit, dass russische Spionage weiter zunehmen wird. Dafür müsse auch neues Personal rekrutiert werden. Kurz nach Kriegsbeginn hatte Deutschland bereits rund 40 mutmaßliche Agenten ausgewiesen, die an der Russischen Botschaft in Berlin akkreditiert waren. Das sei inzwischen aber kompensiert worden, heißt es.

Russlands Präsident Wladimir Putin nimmt für seine Ziele auch in Deutschland lebende Menschen mit russischem Migrationshintergrund ins Visier. "Bisher hat sich die Community sehr resilient gezeigt", betont Haldenwang. Man nehme in diesem Kreis aber vereinzelt auch Leute wahr, die hohe Sympathien für Putin und Russland hätten. "Insofern steht hier möglicherweise ein Reservoir von Personen zur Verfügung, die dann auch bereit sind, im Sinne Russlands zu agieren."

Innenministerin Nancy Faeser (r.) und Verfassungsschutz-Präsident Thomas Haldenwang halten jeweils ein Exemplar des Verfassungsschutzberichtes in ihren Händen.
Innenministerin Faeser (r.) und Verfassungsschutz-Chef Haldenwang präsentieren 2023 den Jahresbericht des Inlandsgeheimdienstes Bild: Christoph Soeder/dpa/picture alliance

Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser lobt Sicherheitsbehörden

Deutschlands Innenministerin Nancy Faeser zieht nach der beispiellosen Festnahme von sechs mutmaßlichen Spionen innerhalb von sechs Tagen eine positive Bilanz: "Unsere Sicherheitsbehörden, allen voran das Bundesamt für Verfassungsschutz, haben die Spionageabwehr massiv verstärkt. So schützen wir uns gegen die hybriden Bedrohungen des russischen Regimes, aber auch vor Spionage aus China. Die aktuellen Ermittlungserfolge zeigen das."

Dieser Artikel wurde am 24. April  2024 aktualisiert. 

Deutsche Welle Marcel Fürstenau Kommentarbild ohne Mikrofon
Marcel Fürstenau Autor und Reporter für Politik & Zeitgeschichte - Schwerpunkt: Deutschland